
Die 70%-Regel im Multi-Level-Marketing (MLM)
Die “70%-Regel” in Multi-Level-Marketing (MLM) besagt, dass Vertriebspartner mindestens 70 % ihrer Produkte an Endkunden verkaufen sollten und nur maximal 30 % der Produkte für den Eigenbedarf oder an andere Vertriebspartner weitergeben dürfen.
Das Ziel dieser Regel ist es, sicherzustellen, dass die Partner nicht hauptsächlich ihre eigenen Produkte kaufen, um im System voranzukommen und Boni zu erhalten. Es soll verhindern, dass Leute ihr eigenes Lager anhäufen und dabei finanziell belastet werden, ohne die Produkte tatsächlich an Kunden weiterzugeben.
Diese Regel soll sicherstellen, dass der Großteil der Umsätze eben aus echten Verkäufen an externe Kunden stammt und nicht nur durch interne Käufe innerhalb des Netzwerks generiert wird.
Wie entstand die 70%-Regel?
Die Federal Trade Commission (FTC) ist die Hauptregulierungsbehörde für die Branche und prüft verschiedene Faktoren, um festzustellen, ob ein MLM (Multi-Level-Marketing) ein legitimes Geschäft ist. Einer dieser Faktoren wird als die “70%-Regel” bezeichnet.
Diese Regel stammt aus einer Entscheidung der FTC von 1979, als sie die Geschäftsstruktur von Amway, einem großen MLM-Unternehmen, das seit 1949 existiert, untersuchte. Die FTC stellte fest, dass Amway aufgrund mehrerer Richtlinien, die Teil ihres Geschäftsmodells waren, nicht als illegales Pyramidensystem operierte.
Eine dieser Richtlinien besagte, dass jeder Vertriebspartner mindestens 70% der im Monat gekauften Produkte zu Großhandelspreisen oder Einzelhandelspreisen verkaufen musste, um eine Leistungsprämie zu erhalten. Der Zweck dieser Anforderung war es, den Verkauf der Produkte zu fördern und zu verhindern, dass Vertriebspartner übermäßig viele Produkte anhäufen, um die Prämie zu erhöhen – bekannt als Lagerhaltung.
Obwohl die FTC in der Amway-Entscheidung von der “70%-Regel” sprach, ist es wichtig zu wissen, dass es sich dabei nicht um eine offizielle Vorschrift oder gesetzliche Regel handelt. Es ist lediglich ein Aspekt, den die FTC und Gerichte bei der Bewertung von MLMs berücksichtigen.
Warum ist diese Regel wichtig?
Vermeidung von Produktpyramiden: Die Regel hilft sicherzustellen, dass der Großteil der Umsätze aus echten Verkäufen an externe Kunden stammt und nicht nur durch interne Käufe generiert wird.
Nachhaltigkeit: Ein MLM-Unternehmen, das sich auf den Verkauf an Endkunden konzentriert, hat eine höhere Chance, langfristig erfolgreich zu sein.
Rechtliche Sicherheit: In vielen Ländern gibt es gesetzliche Bestimmungen, die darauf abzielen, Pyramidenstrukturen zu verhindern. Die Einhaltung dieser Regel kann helfen, rechtliche Probleme zu vermeiden.
Beispiele für die Anwendung der 70%-Regel
Kosmetikunternehmen: Ein Vertriebspartner eines Kosmetik-MLM-Unternehmens kauft Produkte im Wert von 1000 €. Mindestens 700 € dieser Produkte sollten an Endkunden verkauft werden, während maximal 300 € für den Eigenbedarf oder an andere Vertriebspartner weitergegeben werden dürfen.
Ernährungsprodukte: Ein MLM-Unternehmen, das Nahrungsergänzungsmittel vertreibt, stellt sicher, dass seine Vertriebspartner mindestens 70 % der gekauften Produkte an externe Kunden verkaufen. Dies könnte durch Verkaufsberichte und regelmäßige Überprüfungen sichergestellt werden.
Haushaltswaren: Ein Vertriebspartner eines MLM-Unternehmens für Haushaltswaren kauft monatlich Produkte im Wert von 500 €. Mindestens 350 € dieser Produkte sollten an Endkunden verkauft werden, um die Regel einzuhalten.
Herausforderungen bei der Einhaltung der 70%-Regel
Obwohl die “70%-Regel” eine wichtige Richtlinie ist, zeigt die Praxis, dass viele MLM-Unternehmen Schwierigkeiten haben, diese Regel konsequent einzuhalten. Es gibt mehrere Gründe dafür:
Freiwillige vs. verpflichtende Offenlegung
Viele MLM-Unternehmen entscheiden sich, nur die gesetzlich vorgeschriebenen Informationen offenzulegen und halten zusätzliche Daten zurück.
Wettbewerbsdruck
MLM-Unternehmen könnten befürchten, dass zu viel Transparenz ihre Wettbewerbsposition schwächt.
Komplexität der Berichterstattung
Die Erfassung und Veröffentlichung detaillierter Verkaufsdaten kann aufwendig und kostspielig sein.
Rabatte für neue Partner
Oft wird damit geworben, dass Vertriebspartner Rabatte auf Produkte erhalten, wenn sie sich selbst als Partner einschreiben. Dies führt dazu, dass viele Menschen dem Network-Marketing unternehmen beitreten, um von der Handelsspanne zu profitieren und somit ihre eigenen Produkte refinanzieren (dieses Argument ist mir oft für einen Beitritt genannt worden).
Dieses Vorgehen hat zur Folge, dass der frisch geworbene Vertriebspartner nicht mehr als Endkunde zählt.
Wenn ich dann Instagram-Accounts sehe, die angeblich +/- 40 Partner im Monat einschreiben konnten, verstehe ich die Mechanik dahinter … Ein Teufelskreislauf. Erst lässt man sich werben, um die Rabatte zu bekommen und evtl. fängt man dann später an auch selbst zu verkaufen … um die Produkte zu refinanzieren. Oder man steigt nach einer gewissen Zeit wieder aus. Eine mögliche Erklärung, warum immer wieder Menschen in MLMs eintreten. Das Kommen und Gehen an der Basis unten ist Alltag.
Umsatzdruck
In manchen MLM-Systemen kommt es vor, dass die Partner ihre eigenen Produkte kaufen, um ihre Position im System zu halten und die Boni zu kassieren. Das kann dazu führen, dass sie mehr Produkte kaufen, als sie tatsächlich verkaufen können. Nicht selten sammelt sich da ein Jahresvorrat an, wie man hier aus einer längeren Erfahrung lesen kann:
Fehlende Transparenz in MLMs
Wenn man bei MLM-Unternehmen nach solchen Zahlen sucht, wird man nicht wirklich fündig. Kann man dann darauf vertrauen, dass die Regulierungsbehörden den Überblick haben? Wohl kaum. Die Transparenz nach außen beschränkt sich oft auf beeindruckende Umsatzsteigerungen. Wie wenig Transparenz bei der Einkommensoffenlegung herrscht, zeigt ein aktueller Bericht der Federal Trade Commission (FTC) in den USA: Nur 70 MLMs haben ihre Einkommensberichte 🔗 der Partner veröffentlicht.
Ein seltenes Beispiel zur “70%Regel” ist Amway. 2012 fragte das Wall Street Journal die Führungskräfte von Amway, wie viel Prozent der Verkäufe an Einzelhandelskunden, also Endkunden, die keine Partner sind, gehen. Amway antwortete mit 50%. Diese Zahl konnten sie jedoch nicht belegen, und Insider behaupteten, die Antwort sei erfunden.
Später erklärte Amway in einem eigenen Dokument (“Sales Aid 4400”; inzwischen nicht mehr zugänglich), dass nur 18% der Produkte an Endkunden verkauft werden. Solte dies belegbar sein, wirft diese Diskrepanz ernsthafte Fragen zur Glaubwürdigkeit und Transparenz der gesamten MLM-Branche auf.
Fazit
Die 70%-Regel ist ein wesentlicher Bestandteil eines nachhaltigen und rechtlich sicheren MLM-Geschäftsmodells. Sie fördert den Verkauf an Endkunden und hilft, die Integrität des Unternehmens zu wahren. Allerdings zeigt die Realität, dass viele MLM-Unternehmen Schwierigkeiten haben, diese Regel konsequent einzuhalten und die notwendigen Verkaufszahlen offenzulegen.
Transparenz bleibt ein kritischer Punkt, der oft vernachlässigt wird, was zu Misstrauen und rechtlichen Problemen führen kann. Zudem erschwert die Praxis, Vertriebspartnern Rabatte zu gewähren, die Einhaltung der Regel, da viele Partner eher als eigene beste Kunden agieren.
Es ist daher wichtig, dass MLM-Unternehmen und ihre Vertriebspartner sich aktiv um mehr Transparenz bemühen, um langfristigen Erfolg und rechtliche Sicherheit zu gewährleisten.