
Die inflationäre Benutzung des Begriffs “triggern” und die Folgen
In den letzten Jahren hat sich ein bemerkenswerter Trend in unserer alltäglichen Kommunikation entwickelt: die Verwendung von Begriffen und Konzepten aus der Psychotherapie, auch bekannt als “Therapy Speak”. Diese Entwicklung spiegelt nicht nur ein wachsendes Bewusstsein für psychische Gesundheit wider, sondern auch eine Veränderung in der Art und Weise, wie wir über unsere Gefühle und zwischenmenschlichen Beziehungen sprechen.
Gerade der Begriff “triggern” hat eine bemerkenswerte Verbreitung in der Alltagssprache und den sozialen Medien erfahren. Ursprünglich aus der Psychologie stammend, beschreibt “triggern” das Auslösen von starken emotionalen Reaktionen, oft im Zusammenhang mit traumatischen Erlebnissen.
Doch was passiert, wenn dieser Begriff inflationär verwendet wird? Hier sind einige der wichtigsten Folgen und Überlegungen.
Was bedeutet “triggern” bzw. “getriggert werden”?
Triggern bezieht sich auf das Auslösen einer starken emotionalen Reaktion durch bestimmte Reize oder Ereignisse. Diese Reize, auch “Trigger” 🔗 genannt, können Erinnerungen an traumatische Erlebnisse hervorrufen und intensive Gefühle wie Angst, Wut oder Traurigkeit auslösen. Ein Beispiel könnte sein, dass jemand, der einen Autounfall erlebt hat, durch das Geräusch von quietschenden Reifen getriggert wird. Trigger können sehr individuell sein und variieren stark von Person zu Person. Das Verständnis und die Identifikation von Triggern sind wichtige Schritte im Umgang mit emotionalen Reaktionen und in der psychischen Gesundheitspflege.
Verwässerung der Bedeutung des Begriffs “Triggern”
Der Begriff “triggern” verliert an Bedeutung, wenn er für jede kleine Unannehmlichkeit verwendet wird. In unseren sozialen Medien finden sich genügend Beispiele und jeder hat mit Sicherheit schon mal einen Satz dazu zu hören bekommen. Ursprünglich sollte er auf ernsthafte psychische Reaktionen hinweisen, die durch spezifische Auslöser hervorgerufen werden. Wenn jedoch jede Form von Ärger oder Frustration als “Trigger” bezeichnet wird, verliert der Begriff seine Schärfe und Ernsthaftigkeit.
Der Ausdruck “triggert dich das” wird oft verwendet, um auf eine vermeintlich emotionale Reaktion hinzuweisen, die durch eine bestimmte Bemerkung oder Situation ausgelöst wird. Dies kann manchmal als Versuch wahrgenommen werden, die Verantwortung für die Reaktion auf die betroffene Person zu schieben, was in Richtung Schuldumkehr gehen kann.
Wenn jemand häufig den Ausdruck “triggert dich das” verwendet, um auf eine emotionale Reaktion hinzuweisen, kann das verschiedene Dinge über diese Person aussagen:
- Mangel an Empathie: Die Person könnte Schwierigkeiten haben, die Gefühle und Perspektiven anderer zu verstehen und anzuerkennen. Statt sich in die Lage des Gegenübers zu versetzen, wird die emotionale Reaktion als übertrieben oder unangemessen dargestellt.
- Vermeidung von Verantwortung: Indem die Person die Reaktion des Gegenübers als “getriggert” abtut, vermeidet sie, sich mit der eigenen Rolle in der Situation auseinanderzusetzen. Dies kann ein Zeichen dafür sein, dass sie keine Verantwortung für ihre eigenen Worte oder Handlungen übernehmen möchte.
- Manipulation: In einigen Fällen kann dies eine Form von Manipulation sein, bei der die Person versucht, die andere Person zu verunsichern oder zu kontrollieren. Durch die Schuldumkehr wird die betroffene Person dazu gebracht, ihre eigenen Gefühle und Reaktionen in Frage zu stellen.
- Unbewusste Muster: Es ist auch möglich, dass die Person sich dieser Dynamik nicht bewusst ist und einfach unreflektiert ein Verhalten wiederholt, das sie vielleicht selbst erlebt hat.
Insgesamt kann die Verwendung solcher Ausdrücke darauf hindeuten, dass die Person Schwierigkeiten hat, konstruktiv und respektvoll zu kommunizieren.
Beispiele für inflationäre Benutzung des Begriffs “Triggern”
Die inflationäre Verwendung des Begriffs ‘Triggern’ in alltäglichen Situationen kann die ernsthafte Bedeutung des Wortes verwässern. Hier sind einige Beispiele, wie der Begriff oft übertrieben verwendet wird:
Alltägliche Unannehmlichkeiten
- Beispiel: Jemand sagt, er sei “getriggert”, weil sein Lieblingscafé geschlossen hat.
- Erklärung: Hier wird der Begriff für eine kleine Enttäuschung verwendet, die keine ernsthafte emotionale Reaktion auslöst.
Leichte Frustrationen
- Beispiel: Eine Person behauptet, sie sei “getriggert”, weil sie im Stau steht.
- Erklärung: Der Begriff wird für eine alltägliche und vorübergehende Frustration verwendet, die keine tiefgreifenden emotionalen Auswirkungen hat.
Unangenehme Meinungen
- Beispiel: Jemand fühlt sich “getriggert”, weil er eine Meinung hört, die er nicht teilt.
- Erklärung: Hier wird “triggern” verwendet, um eine Meinungsverschiedenheit zu beschreiben, die keine ernsthafte emotionale Reaktion hervorruft.
Caorlin Kebekus hat hier ein passendes Video im Repertoire:
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Mehr InformationenEchte Trigger und deren Folgen
Trigger und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sind eng miteinander verknüpft. Trigger sind spezifische Reize oder Stimuli, die intensive Erinnerungen und emotionale Reaktionen hervorrufen können, die mit dem ursprünglichen traumatischen Ereignis verbunden sind. Diese äußeren Reize spiegeln Aspekte des traumatischen Erlebnisses wider und können bewusst oder unbewusst Erinnerungen an das Trauma hervorrufen. Dies führt dazu, dass Betroffene das traumatische Ereignis erneut durchleben, was intensive emotionale und körperliche Reaktionen auslösen kann, die oft unverhältnismäßig stark im Vergleich zur aktuellen Situation sind.
Trigger-Arten
Trigger können in vielen Formen auftreten und verschiedene Sinne ansprechen. Hier sind einige Beispiele für unterschiedliche Arten von Triggern:
- Geräusche: Ein Kriegsveteran könnte durch laute Knallgeräusche oder Feuerwerkskörper getriggert werden, da diese Geräusche an Schüsse und Explosionen im Krieg erinnern.
- Gerüche: Ein Überlebender häuslicher Gewalt könnte durch den Geruch von Alkohol getriggert werden, wenn der Täter oft betrunken war.
- Orte: Eine Person, die einen schweren Autounfall überlebt hat, könnte durch das Betreten des Unfallortes getriggert werden.
- Gefühle: Gefühle wie Angst oder Ohnmacht können ebenfalls Trigger sein, wenn sie an die Emotionen während des traumatischen Ereignisses erinnern.
Beispiele für ernsthafte Trigger
Im Gegensatz zur inflationären Verwendung des Begriffs ‘Triggern’ gibt es Situationen, in denen echte, tiefgreifende emotionale Reaktionen ausgelöst werden. Hier sind einige Beispiele für ernsthafte Trigger:
Überlebende von Gewalt
- Beispiel: Eine Überlebende häuslicher Gewalt wird durch laute Schreie oder aggressive Gesten getriggert.
- Erklärung: Diese Auslöser erinnern sie an die traumatischen Erlebnisse und können starke emotionale und körperliche Reaktionen hervorrufen.
Kriegsveteranen
- Beispiel: Ein Kriegsveteran wird durch Feuerwerkskörper oder laute Knallgeräusche getriggert.
- Erklärung: Diese Geräusche können Flashbacks und intensive Angstzustände auslösen, die mit den Kriegserfahrungen verbunden sind.
Nicht gesehen werden
- Beispiel: Ein Kind, das in einer emotional vernachlässigenden Umgebung aufwächst, in der seine Bedürfnisse und Gefühle ignoriert oder abgewertet werden, kann ein tiefes Gefühl der Unsicherheit und des mangelnden Selbstwerts entwickeln.
- Erklärung: Solche Kinder können im Erwachsenenalter Schwierigkeiten haben, gesunde Beziehungen aufzubauen, und können durch Situationen getriggert werden, in denen sie sich übersehen oder unwichtig fühlen. Dies kann zu intensiven emotionalen Reaktionen führen, die auf die frühkindlichen Erfahrungen zurückgehen.
Sexueller Missbrauch
- Beispiel: Ein Kind, das sexuellen Missbrauch erlebt hat, kann durch bestimmte Berührungen, Gerüche oder Situationen getriggert werden, die Erinnerungen an das Trauma hervorrufen.
- Erklärung: Diese Auslöser können intensive Flashbacks, Angstzustände und Panikattacken auslösen. Die betroffene Person könnte Schwierigkeiten haben, Vertrauen zu anderen aufzubauen und sich in bestimmten sozialen Situationen sicher zu fühlen.
Folgen und Auswirkungen für die Gesellschaft
Die inflationäre Nutzung des Begriffs “triggern” hat mehrere negative Effekte auf unsere Gesellschaft:
Stigmatisierung und Missverständnisse
Wenn der Begriff “triggern” leichtfertig verwendet wird, werden Menschen, die tatsächlich unter Triggern leiden, oft nicht ernst genommen. Ihre Erfahrungen und Bedürfnisse könnten trivialisiert werden, was zu einer weiteren Stigmatisierung führt. Zudem kann die breite Anwendung des Begriffs zu Missverständnissen führen, da nicht jeder denselben emotionalen oder psychologischen Kontext versteht. Dies kann dazu führen, dass die ernsthaften Probleme der Betroffenen nicht angemessen erkannt und behandelt werden.
Förderung von Überempfindlichkeit
Eine häufige und leichtfertige Verwendung des Begriffs kann eine Kultur der Überempfindlichkeit fördern. Menschen könnten sich schneller beleidigt oder angegriffen fühlen, was die zwischenmenschliche Kommunikation und das soziale Miteinander erschwert. Dies kann dazu führen, dass Diskussionen und Debatten weniger konstruktiv verlaufen, da die Beteiligten sich eher auf ihre persönlichen Empfindungen als auf sachliche Argumente konzentrieren.
Kommunikationsprobleme
Wenn der Begriff “triggern” zu oft und in unpassenden Kontexten verwendet wird, kann dies die Klarheit und Effektivität der Kommunikation beeinträchtigen. Es wird schwieriger, ernsthafte von weniger ernsthaften emotionalen Reaktionen zu unterscheiden, was zu Verwirrung und Missverständnissen führen kann. Dies kann insbesondere in professionellen oder therapeutischen Kontexten problematisch sein, wo eine präzise Kommunikation entscheidend ist.
Auswirkungen auf Menschen mit echtem Trauma
Für Menschen mit echtem Trauma kann die inflationäre Benutzung des Begriffs besonders schmerzhaft sein. Ihre intensiven und oft schmerzhaften Erinnerungen werden durch Trigger ausgelöst, und wenn dieser Begriff leichtfertig benutzt wird, kann das ihre Erfahrungen trivialisieren. Sie könnten sich isoliert und missverstanden fühlen, was ihre Bereitschaft, über ihre Probleme zu sprechen oder Hilfe zu suchen, verringern kann. Dies kann ihre Heilung und ihr Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen.
Gesellschaftliche Auswirkungen
Eine Gesellschaft, die psychische Gesundheit nicht ernst nimmt, riskiert, dass Betroffene nicht die notwendige Hilfe und Unterstützung erhalten. Die inflationäre Nutzung von Begriffen wie “triggern” kann dazu führen, dass ernsthafte psychische Gesundheitsprobleme weniger ernst genommen werden, was die Bereitschaft zur Unterstützung und Finanzierung von psychischen Gesundheitsdiensten beeinträchtigen könnte. Langfristig kann das zu einer Verschlechterung der allgemeinen psychischen Gesundheit in der Gesellschaft führen.
Fazit
Die inflationäre Benutzung des Begriffs “triggern” hat weitreichende Folgen, die von der Verwässerung der Bedeutung bis hin zu ernsthaften Kommunikationsproblemen reichen. Es ist wichtig, den Begriff mit Bedacht zu verwenden, um die Erfahrungen und Bedürfnisse von Menschen mit echtem Trauma zu respektieren. Jeder Einzelne trägt die Verantwortung, Begriffe wie “triggern” bewusst und respektvoll zu nutzen. Durch Sensibilisierung, Bildung und persönliche Verantwortung können wir eine respektvollere und unterstützendere Gesellschaft schaffen. Indem wir uns der Auswirkungen unserer Sprache bewusst werden und uns bemühen, empathisch und respektvoll zu kommunizieren, können wir dazu beitragen, das Leiden der Betroffenen zu verringern und eine unterstützende Umgebung zu schaffen.
Und falls sich jemand durch diesen Artikel getriggert fühlt, könnte es hilfreich sein, ihn noch einmal in Ruhe zu lesen und darüber nachzudenken, wie wir alle zu einer respektvolleren Kommunikation beitragen können.
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